Bilder
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Petra Sapper
Vorbilder
Momentaufnahmen aus 15 Jahren
Frühe achtziger Jahre. Jede Menge Aktivitäten der Friedensbewegung gegen die Stationierung von Pershings oder gegen die vielfältigen NATO-Planspiele, wie z.B. im Fulda-Gap, wo auf einem riesigen Areal geübt wird. Alles streng bewacht, Hundertschaften Polizei sind aufgefahren worden, um ein Gelände so groß wie für eine Metropole, aber leer wie die Wüste zu schützen; Idylle hinter dem Zaun, Vogelgezwitscher, verlassene Dörfer und Stille. Zerrissen von Schüssen. Einige schleichen durch ein Loch im Zaun, ducken sich und hoffen, dass keiner sie sieht. Sieben verschiedene Schießplätze, aber offensichtlich wird nur auf einem geübt. Die Aktionen beginnen, sie sind lange genug geplant worden: symbolische Errichtung ehemaliger Dörfer, Pflügen von Äckern usw. Mittlerweile kreist ein Hubschrauber dicht über ihnen, sie sind auf amerikanischem Hoheitsgebiet, doch sie machen unbeirrt weiter und kommen schließlich an einer Latrine vorbei, wo im selben Raum 12 Mann in Not gleichzeitig ihre Bedürfnisse verrichten können.
Den Älteren Arbeiten, von denen eine hier abgebildet ist, sieht man ihren Anlass noch deutlich an: Baumelnde Beine über behelmten Soldaten. Trotz konkreter politischer Motive gewann die Form und Geste im Verlauf von Axel Brandts Studium an Bedeutung gegenüber dem Inhalt, über den eine Diskussion an der Kunstakademie kaum möglich war. Dieses Bild verdeutlicht aber auch, wie formale Elemente die bildnerische Inhaltlichkeit neu erschaffen können: von den Beinen in die Köpfe der Soldaten fließende Farbe oder die Transparenz der Bildebenen. Soldaten in unterschiedlichen Situationen blieben das erste Jahr in der Klasse Krieg das Thema von Axel Brandts Malerei. Feldlatrinen wurden in den Kachelbildern, die zunächst ausschließlich die Keramik zeigen, n„her untersucht. Später mutieren die Soldaten zu Affen in gefliesten Räumen, unklar bleibt jedoch die Situation: Befinden sich die Tiere in bäderähnlichen Räumen, deren Begrenzung jedoch nicht zu sehen ist, oder durchdringt das Raster die Gestalten, als ob sie sich hinter Gitterstäben befinden? Die physisch sichtbare Gewalt wurde durch psychische ersetzt. Physiognomisch alten Menschen nicht unähnlich und deren Isolation widerspiegelnd, begegnen sich zwei Affen vor einer gerasterten Fläche: Die räumliche Situation ist vom Betrachter nicht eindeutig zu bestimmen, dadurch wird das Ausgeliefertsein der Figuren noch verstärkt. Gestisch sich annähernd, blicken sie dennoch aneinander vorbei.
Pitztal. Abends. Die Lifte sind schon abgestellt, die Schlussabfahrt. Alle Muskeln melden sich, jetzt nix wie runter. Da ist ein Skilehrer, dem könnten sie hinterherfahren, der wird schon Bescheid wissen. Plötzlich ist er verschwunden. Und blöderweise sind sie ein bisschen abseits der Piste. Sie fahren hintereinander, der vordere schreit: "Achtung, Gletscherspalte!" Vorsichtig, Schritt für Schritt tasten sie sich vor. Da ist eine Brücke - aus Eis -, wie für sie gebaut. Jetzt nur nicht die Nerven verlieren. Hier findet sie kein Schwein. 10 Minuten wie eine Ewigkeit, dunkel wird es, kalt ist es, und die Kleider werden langsam klamm. Endlich - geschafft.
Gondeln schweben - scheinbar führungslos - durch eine nur an den Gipfelkreuzen erkennbaren Berglandschaft. Diese Bilder fallen durch ihren transparenten Farbauftrag auf, nur vereinzelt finden sich verstreut auf den Berghängen einige bunte Gestalten, die sich in akrobatisch selbstmörderischer Weise von den Hängen oder aus den Gondeln stürzen. Die Kreuze sind die einzigen Fixpunkte innerhalb der jetzt meist quadratischen Formate. Mit der Quadratur verändern sich die perspektivischen Verhältnisse, die Bilder erhalten schon aufgrund des Formats mehr Tiefe bzw. eine Sogwirkung. Die Bergwelt beeindruckt durch ihre flirrende Grellheit, die Gefahren, die sie birgt, sind nicht auf den ersten Blick erkennbar, treten auf wie unerwartete Gletscherspalten.
Norwegen im Sommer. Wald, Fjorde und Blaubeeren. Hanomag und Schlauchboot, Angel und Bratpfanne. Ein schöner Bach oder eher doch ein Wasserfall, auf jeden Fall eisig kalt, da müssen sie rein - wofür sonst haben sie das Schlauchboot dabei? Die Steine sind ganz schön glitschig, los geht's von alleine. Toll hier - und hinterher Blaubeeren mit Sauerrahm. Das Boot schießt vorbei an Steinen. Einer allein kann das Boot nicht mehr steuern, und es ist tiefer dort, als sie dachten. Jetzt nur nicht die Paddel verlieren, bald ist mehr Wasser im Boot als draußen, und nix dabei zum Schöpfen. Und die zwei Zuschauer am Ufer finden das alles noch lustig und machen Fotos.
Ein ähnlich gewaltiges Element wie Eis und Schnee, in seiner sich dem menschlichen Einfluss entziehenden Eigendynamik, stellt das Wasser in seinem flüssigen Aggregatszustand dar. Ähnlich ausgeliefert wie die Figuren in den Gondeln sind die beinahe körperlosen, anscheinend aber menschlichen Wesen, die zusammengekauert und fast verschmelzend in der Ecke eines riesigen, vom Sturm aufgebogenen Schlauchboots sitzen. Unfähig, in das Geschehen einzugreifen, liefern sie sich den Fluten aus. In der ozeanischen Weite verschwindet das Individuum als handelndes Element, ein Klumpen nackter Menschen widersetzt sich ohne Kleidung und technische Hilfsmittel nicht lange der Naturgewalt.
Beiden vorangegangenen Bilderzyklen ist zwar das Vorhandensein von Attributen menschlicher Zivilisation - Gondel und Schlauchboot - gemein, diese dienen jedoch nur als Krücke menschlichen Handelns. Der Mensch muss die Grenzen ihrer Einsetzbarkeit und den Rahmen seines Handelns erkennen und zum richtigen Zeitpunkt aktiv eingreifen.
Seit bald 10 Jahren. Jeden Sommer ein paar Wochen. Morgens früh raus, schön ruhig ist es hier im Dorf. Radio, Kaffee, Brezen und Arbeitsklamotten. Rüber in die Scheune. Da steht sie aufgepallt, mit ihrem mächtig rundem Hinterteil, schaut auf das mickrige Bächlein und kommt sich vielleicht etwas fehl am Platze vor. Wo sind die Leisten? Hol mal neue Tackerklammern. Ist eigentlich noch genug Leim da? Mir tut der Arm weh von gestern, über den Kopf tackern ist einfach nix. Also jetzt aber anfangen: messen, anlegen, anzeichnen, sägen, anpassen, Leim anrühren, tackern. Fertig - nächstes. Jetzt bloß keine Diskussionen anfangen und weitermachen. Und morgen wieder genauso weiter wie gestern, vorgestern und übermorgen. Und wenn sie Pech haben, läuft's vom Stapel und läuft und ...
Besonders deutlich wird dies in den Titanicbildern, wo Menschen, schon im Untergang begriffen, ihre Situation trotz angelegter Schwimmweste nicht erkennen, aufrecht stehend in ihrer untergehenden Welt, während der Horizont nach oben kippt.
Die schiefe Ebene taucht auch in den Barbildern auf, die Menschen am Tresen zeigen. Bei diesen Bildern setzt sich durch, was in den Gondel- und Schlauchbootbildern vorweggenommen wurde; statt der Farben tritt jetzt ihr Nichtvorhandensein als gestalterisches Element in den Vordergrund. Die Sprachlosigkeit der Agierenden findet ihren Niederschlag in der Reduktion der Farbpalette. Farbwürste markieren als Umgrenzungslinien Körper und Gegenstände. Diese Menschen befinden sich jetzt aber in eng begrenzten Räumen, ihr Körper gibt das Raummaß vor. Dies verleiht den Figuren aufgrund des rahmenhaften Bildaufbaus eine stärkere Dominanz des Geschehens. So auch auf diesem Bild, wo eine Frau fast völlig entblößt, sich dem Betrachter anbietet. Der Körper ist zwar in sich verschränkt, zeigt aber eine Ambivalenz von deutlichem Verstecken und Ausgeliefertsein.
Der neueste, hier gezeigte Bilderzyklus vereint alle bisher gemalten Themen an einem Tisch. Die Affen im Käfig, die Verlorenen in den Schlauchbooten, die hungrigen Skifahrer, die Menschen in der Bar und viele mehr. Sie alle freuen sich auf das Truthahnessen im Herbst. Wer nicht dazu eingeladen ist, darf wenigstens am Augenschmaus teilhaben.