Axel Brandt malt
Schreibmaschinenbilder
Spätestens seit dem
Beginn des 20. Jahrhunderts finden Bild und Text in der Kunst immer wieder
zueinander: Die Literatur findet zum Bild; die bildende Kunst eignet sich das
Medium der Literatur, die Sprache an. Seit dem Kubismus, Futurismus, Dadaismus,
seit der abstrakten Kunst und dem Surrealismus gibt es einen fortlaufenden Prozess
einer wechselseitigen Durchdringung von Literatur und bildender Kunst.[i]
So können auch die „Schreibmaschinenbilder“ von Axel Brandt als ein sehr
gegenwärtiger Reflex innerhalb dieser mithin historischen Entwicklungslinie angesehen
werden. Seit rund vier Jahren nun bildet die Schreibmaschine eines der von
Brandt am meisten geschätzten Motive: Dieses Mittelding zwischen Handwerkzeug
und Maschine ist als analoges, längst überkommenes Aufschreibsystem längst vom
Computer abgelöst worden. Die Schreibmaschine hat sich aus unserer
Lebenswirklichkeit verabschiedet und ist – wenn überhaupt noch – hauptsächlich
in den ärmeren Ländern und in Museen für Technik- und Kulturgeschichte zu
finden.
Obwohl wir heute
Schreibmaschinen womöglich mit Sekretärinnen assoziieren, waren Frauen in
früheren Zeiten von der Kulturtechnik des Schreibens weitgehend ausgeschlossen.
Zunächst weltliche und geistliche Herrscher, später Kauf- und Handelsleute,
schließlich Dichter und Rechtsgelehrte verfügten über Schreiber und Kopisten,
welche die (Ab-)Schreibarbeiten als überwiegend manuell-mechanische und weniger
als intellektuelle Tätigkeit verrichteten. Mitunter waren die Höhergestellten
selbst des Schreibens nicht kundig. Das war Jahrhunderte lang Praxis bevor der
Buchdruck das Schreiben und die Schrift „demokratisierte“. Bis zur Entwicklung
und Verbreitung eines mechanischen Aufschreibsystems namens Schreibmaschine
sollten wiederum Generationen verstreichen. Die erste erfolgreiche
Schreibmaschine wurde 1868 von Christopher Latham Sholes und Carlos Glidden
konstruiert. Von diesem Patent ausgehend, brachte der Nähmaschinen- und
Waffenhersteller E. Remington & Sons im Jahr 1874 die erste Maschine auf
den Markt.[ii]
Heerscharen von Büroangestellten bedienten im Arbeitsalltag fortan
Schreibmaschinen und verhalfen diesem neuen technischen Medium zum Erfolg. So
war die Schreibmaschine auch ein Instrument der Emanzipation, bahnte den Frauen
(zunächst in Amerika) bald schon einen Weg aus den Fabriken in die deutlich
besser bezahlten Bürojobs.[iii]
Mit der Sekretärin entwickelte sich diese zu einem eigenständigen Berufsbild
und verdrängte schließlich den Mann weitgehend von der Schreibmaschine. Waren 1875
in amerikanischen Büros gerade einmal vier Prozent Frauen beschäftigt, stellten
sie zu Beginn des 20. Jahrhunderts bereits 75 Prozent der Angestellten.
Und wie verhält
es sich mit den Schreibmaschinen bei Axel Brandt? Wie trägt dieses Motiv die
Malerei und wir erträgt die Malerei dieses Motiv? Bestehen gar biographische
Bezüge?
Axel Brandt
stammt aus einer Handwerkerfamilie. Seine Mutter erledigte sämtliche
Korrespondenz auf einer Schreibmaschine. Diese war im Elternhaus allen
Familienmitgliedern zugänglich. So konnte Brandt schon als Kind dieses „Medium“
spielerisch ausprobieren und benutzen. Und tatsächlich kommt das Medium
Schreibmaschine in den Bildern Brandts auch nicht allzu ernst dargestellt daher:
Wie selbstverständlich haben seine Maschinen stets ein weißes Blatt
eingespannt, einer Fahne gleich schwingt oder hängst das schwarz-rote Farbband
über der Walze, allzeit bereit, jeder Idee oder jedem Gedanken Form und Gestalt
zu geben und diese alsbald, sorgsam getippt, als Botschaft zu verbreiten.
Aber was ist das
für eine Botschaft? Eines der ersten Bilder dieser Reihe trägt den Titel „Gut,
dass ich kein Schreiber bin“. Vielleicht eine Anspielung auf den schreibenden
Bruder, der Krimis verfasst; aber das Bild könnte auch ganz anders gedeutet
werden. Bei einer anderen Schreibmaschine, einer goldenen „Princess“, liest man
auf den Tasten „Princess auf der Erbse“. Hat der Künstler hier seinen Gedanken
freien Lauf gelassen wie bei der Schreibmaschine mit dem Namen „Royal“, die um
die Aufschrift „with Cheese“ ergänzt wurde? Und weiter: „Idiot“ prangt auf dem
einen weißen Blatt. Wurde hier womöglich das Schreibgerät Dostojewskijs auf die
Leinwand gebracht? Verfügte der Meister denn bereits über ein solches
mechanisches Schreibgerät? Auf einem anderen ist „Künstler“ zu lesen und auf
den Tasten darunter formieren sich die Lettern zu „böses Wort“. Meint der
Künstler sich gar selber? Auf einem weiteren eingespannten Bogen wiederum ist
in Schreibschrift „Liebe“ zu lesen, während auf der Tastatur hingegen nur das
Wort „Wort“ geformt ist. Liebe. Nur ein Wort? Aber was für ein Wort! Und
tatsächlich ist der Betrachter von hier an weitgehend allein gelassen und auf
sein eigenes Assoziationsvermögen angewiesen. Denn die Bilder helfen fortan
nicht weiter.
Seit einiger Zeit
setzt Axel Brandt sich mit den Neurowissenschaften auseinander und in diesem
Zusammenhang mit der Frage nach dem Verhältnis von Geist und Körper. Ein ebenso
fruchtbarer wie folgenreicher Impuls, der sich vor allem der Beschäftigung mit
Siri Hustvedts Buch „Die Illusion der Gewissheit“ verdankt. Auf Fotografien,
die im Haus der Schriftstellerin aufgenommen worden sind, entdeckte Brandt
Bilder mit Schreibmaschinen. Wie sich herausstellte, handelte es sich bei
diesen um Bilder des amerikanischen Künstlers Sam Messer. Messer malt seit
Jahren die Schreibmaschine von Paul Auster, dem Ehemann Hustvedts. Und hiermit
schließt sich der Kreis: Auster hat alle seine Bücher auf dieser
Schreibmaschine, einer Olympia, geschrieben und zudem wiederum gemeinsam mit
Messer über diese bemerkenswerte Beziehung ein Buch mit dem Titel
„Schreibmaschinen-Liebe“ verfasst.
Axel Brandts
Malweise, der Duktus und Farbauftrag lassen seine gemalten Maschinen lebendig
erscheinen, mithin scheinen sie über individuelle Wesensarten und
Charaktereigenschaften zu verfügen. Brandt platziert seine Schreibapparate mittig
in der Bildfläche und lässt sie den gesamten Bildraum beherrschen. Die Anzahl
der Tasten variiert von Bild zu Bild und ihre Anordnung erscheint immer
willkürlich und niemals funktional, mitunter wird sie Tastatur nach Belieben
erweitert. Die Typenhebel, sofern sie als solche überhaupt noch zu erkennen
sind, bilden den wilden Mittelpunkt dieser Apparate. Ein ineinander verdrehtes
und verhaktes, geradezu struppiges Bündel, imstande, das soeben auf das Papier Niedergeschriebene
sogleich wieder zu zerstören. So ist das Aussehen dieser Apparate keineswegs
sachlich-nüchtern, wie es mithin einem technischen Gerät angemessen erscheinen
könnte, sondern auf eine Weise ausgestaltet, die sich der gesamten zur
Verfügung stehenden Palette der Malerei bedient. Und hierin verwandelt sich
Brandts Malerei von der Wiedergabe realer Gegenstände in den reinen Malakt:
Hier mal ein lässiger, dort wieder ein ungestümer Kraftakt, der Spuren in die
Oberflächen ritzt, die Formen verzerrt und nahezu nervöse Gestalten entstehen
lässt, deren Konturen sich auflösen. Sie sind erkennbaren Verzerrungen dessen,
was zunächst Ausgangspunkt und Gegenstand des Malprozesses und der Betrachtung
war – die Schreibmaschine – nunmehr von Pinselhieben und -strichen malträtiert,
der Auflösung nahe.
Axel Brandts
Bilder wirken mitunter wie ein sichtbares Echo auf den Dichter Stéphane
Mallarmé, der bereits gegen Ende des 19. Jahrhunderts in „Un coup de dés“ die
visuelle Erscheinung der Sprache als Schrift in seine Lyrik einbezog und damit
die Grundlage schuf, den Text dem Bild zu nähern.[iv]
Darüber hinaus geht mit der Verbreitung der Schreibmaschine eine erkennbare
Trennung zwischen dem Körper des Schreibenden und der Gestalt des Geschriebenen
einher. Einerseits ermöglicht sie die Beschleunigung des schöpferischen
Prozesses, andererseits gehen mit den normierten Typen die Vereinheitlichung
und die Nivellierung des Geschriebenen einher. So war es schließlich auch
Mallarmé, der angesichts der Schreibmaschine klagte, dass diese die Literatur
auf bloß noch 26 Buchstaben reduzieren würde, was dem Verlust des
uneingeschränkten sprachlichen Ausdrucksvermögens gleichkäme. Die sichtbare
Gegenwart von Sprache in Brandts Bildern vermag unterschiedliche Funktionen
erfüllen. Einerseits ergänzt sie das Bildliche um eine sprachliche
Kommentarebene und erweitert damit das Bild. Darüber hinaus ermöglichen sie
eine Ergänzung des Bildes um solche
Bereiche, die jenseits von ihm existieren. So führen uns Axel Brandts Bilder in
besonderer Weise unser Misstrauen gegen die Verlässlichkeit der Gegenstände,
die uns umgeben und die wir benutzen, vor Augen.
PS:
Unter den vielen
gemalten Schreibmaschinen Brandts gibt es die eine, deren Tasten und Farbband
nicht nur Lettern transportieren, sondern miniaturisierte Gemälde festhalten.
Bei genauem Hinsehen erkennt man in diesen frühere Werke des Malers. Handelt es
sich hierbei also um eine Art Archiv oder Werkverzeichnis, das mit seinem
Motivvorrat jederzeit zur Verfügung steht, sobald der kreative Prozess ins
Stocken gerät? Zudem sind einige der Tasten nicht – oder möglicherweise noch
nicht – belegt. Die Schreibmaschine als Malmaschine gar, die es vermag, an die
Stelle des kreativen Schaffensprozesses zu treten und diesen zu verdrängen. Nur:
Was bleibt dann als Kunstwerk übrig – die Maschine, das Produkt oder der Akt
der Herstellung?
Cornelia Schwabe
und Dirk Steimann
[i] Wolfgang Max Faust, Bilder werden Worte. Zum Verhältnis von bildender Kunst und Literatur, Köln, 1987; S.7
[ii] vgl.: brand eins, Wo Digitalisierung im Alltag nützt, Hamburg 2019, S.69-70
[iii] Matthias Halbig/Redaktionsnetzwerk Deutschland, Erfinder der Tastatur: Christopher Latham Sholes setzte „Quert“-Maßstäbe, in: Märkische Allgemeine online, Kultur Analoge Restbestände, Hannover/Potsdam 13.02.2019
[iv] vgl.: Wolfgang Max Faust, The soprano sang / no symbols where none intended, in: ders., Bilder werden Worte. Zum Verhältnis von bildender Kunst und Literatur, Köln, 1987; S.9