Dicke Luft

 

Axel Brandt ist ein Maler, aber er haut mit Farbe wie ein Bildhauer.

Axel Brandt ist ein Realist, aber er gestaltet vor allem materielle Strukturen, die die Leinwand in ein dreidimensionales Oberflächenrelief strukturieren.

Axel Brandt erzählt Geschichten, aber die „Lesbarkeit“ dieser Geschichten widerspricht den uns bekannten Topoi und unterläuft in teils ironischer, teils analytischer Art und Weise die Inhalte, die uns auf den ersten Blick zu begegnen scheinen.

 

Dicke Luft ist daher auch der Titel dieser Buchpublikation ohne dass es ein Bild in diesem Kompendium gäbe, das diesen Titel trägt. Dicke Luft ist also mehr als ein neues Thema der Malerei von Axel Brandt sondern sein – so möchte man es formulieren - philosophisches Bekenntnis zu seiner Gestaltungszielsetzung der Malerei schlechthin. Alles das, was - so möchte man sagen - „in der Luft liegt“, was den Künstler tagesaktuell umtreibt, findet sich als Niederschlag in einer dicken Schicht auf die Leinwand gemalt und gepresst mit Farbe, deren Substanz an Dichte und Schwere kaum zu überbieten ist.

 

Die Bilder von Axel Brandt irritieren in mehrfacher Hinsicht. Zum einen zeigen sie in ihrer Formatgewaltigkeit ein bisweilen raumsprengendes Malereierlebnis, um dann nicht mehr und nicht weniger als kleine Objekte und Motive in riesenhaften Kontexten darzustellen. Zum anderen schildert er uns vertraute Begebenheiten, deren Auflösung in der Malerei jedoch von der Vertrautheit in die Fremdheit mutieren und deren auf den ersten Blick durchaus entgegenkommendes Wiedererkennen die Betrachter nur scheinbar in Sicherheit wiegen. Nicht selten verraten bei näherer Anschauung die Bilder ihr wahres Gesicht, in dem tagesaktuelle Ereignisse in einen überzeitlichen Kontext entrückt werden und dort bittersüße Schrecken formulieren. So gerät der Besucher einer Ausstellung mit den Arbeiten von Axel Brandt durchaus in die Situation, in der er höchst verunsichert sehr unterschiedliche Themen zu entdecken meint, die ihn allesamt aus seiner harmonischen Betrachtungsweise verjagen. Und dies geschieht unweigerlich, da allein durch die Übergröße der Bilder und zum Teil durch deren enorme Haptik und stoffliche Präsenz ein entkommen im Ausstellungskontext sinnlos erscheint.

 

Zunächst einmal haben Axel Brandts Arbeiten ein entscheidendes Kriterium, sie sind am Gegenstand orientiert und lassen so auf den ersten Blick eine Zuordnung in einen Themen- oder Motivkontext zu. Die Motive jedoch sind so gewählt, dass sie meist in einem bewussten Gegensatz zu ihrer Formatgröße stehen und dadurch allein die Bedeutungsebene, die sie ursprünglich besitzen, nachhaltig verlassen. So erscheinen die auf uns zugreifenden Handflächen mit den gebogenen Fingern der Serie „Vorm Ersten ist’s am Schwersten“ von 2009 in ihrem über 2 Meter großen Format wie die Hände eines Außerirdischen Riesen, der sich auf den Betrachter stürzt und ihn im nächsten Moment aus dem Raum zu greifen scheint. Der Blick, auf die umgekehrte wie zu einer Greifkralle gekrümmten Innenfläche einer großen Hand, ist zum einen der Anblick, den der Künstler selbst erlebt, wenn er unmittelbar auf seine Handfläche blickt und diese 1 : 1 im überlebensgroßen Format umsetzt, zum anderen wird hier eine Malereilandschaft erlebbar, aufgebaut durch die Linien der Hand, die besondere Perspektive und die umgedrehte Struktur als eine bizarre Topographie, die unabhängig vom Motiv der Darstellung ein eigenständiges gestalterisches Leben auf der Leinwand führt. Erst in der Übertragung dieses Mikroblickes auf die eigene Hand in eine Makrostruktur auf der Leinwand wird der Betrachter in eine Wahrnehmungsirritation geführt, bei der er zwischen Erkennen und Nichterkennen, zwischen realistischer Darstellung und sich auflösender fast abstrakter Malerei hin und her geworfen sieht und so den ebenfalls nicht erhellenden Titel „Vorm Ersten ist’s am Schwersten“ mit einer weiteren Bedeutungsebene hinzudenken muss.

 

Eine andere und ähnlich irritierende Bedeutung entsteht durch eine riesige Hand in der Serie der Einkaufstüten, in denen Axel Brandt den Focus allein auf eine Hand richtet, die eine in sich zusammengefaltete Plastiktüte bekannter Herstellernamen trägt, die zwar nicht mehr lesbar ist, was ihren Markennamen betrifft, die jedoch aus unserem Erfahrungsschatz genommen ist, so dass wir auch ohne Mühe nur anhand der Farbkombinationen, der Schrifttype sofort erkennen, was hier Lidl, was Real oder was Aldi ist. Diese Konnotationen von Begrifflichkeiten, die uns gleichsam durch den täglichen Umgang antrainiert sind, ob wir es wollen oder nicht, greift Axel Brandt auf, um daraus Bildwerke ganz eigener Qualität zu schaffen. Der Kontrast zwischen der sehr pastosen aber in sich nahezu monochromen Hand, die wie eine malerische Struktur wirkt im Kontrast zu den Buntwerten jener Plastiktüten, erzählt ihre ganz eigene Geschichte über unsere Alltagsästhetik, die uns in den Straßen und Städten begegnet und deren Sinnhaftigkeit wir überhaupt nicht mehr in Frage stellen.

 

Markenbezeichnungen und Produktfirmen tauchen in den Arbeiten von Axel Brandt immer wieder auf, nicht um diesen eine besondere Wertigkeit zu geben, sondern um hier auch wieder den Kontrast aufleben zu lassen zwischen Objekten einer technischen oder banalen Realität und um sie für uns neu sichtbar zu machen, und daraus eine Frage nach Wahrnehmung und Realisierung zu formulieren. Die Waschmaschinen, die Axel Brandt im Jahr 2010 gemalt hat, sind keine Waschmaschinen im eigentlichen Sinne sondern vermitteln den Blick eines Wartenden, der durch das Bullauge der Maschine auf den Prozess innerhalb der Trommel schaut und sich hier in den gleichförmigen aber sich immer wieder wandelnden Rotationsumlauf verliert. Candy, Miele oder Hoover sind die Namen, die uns bewusst nicht an die Signets der Produkte erinnern – bis auf das Mielezeichen - sondern vielmehr wie ein zusätzliches Element des Bildes auftauchen und fast wieder verschwinden. Axel Brandt gewinnt dadurch hier in der sehr reduzierten fast monochromen Darstellungsform eine Abstraktion, die unabhängig vom Dargestellten existiert. Die Schlieren und Schleifen der Waschbewegung werden zu malerischen Formulierungen auf der Leinwand, die keinen Anlass brauchen sondern als Elemente der Gestaltung für sich selbst Geltung besitzen.

 

Wie weit Axel Brandt zwischen tagesaktuellem Thema, Malerei und Betitelung trennt und alle drei Elemente als Facetten betrachtet, die sich unterschiedlich zueinander verhalten könnten, wird darin deutlich, dass gewählte Titel für Bilder sich bisweilen im Laufe der Jahre verändern. So zeigen seine Gruppenbilder „Gewaltfreies Training“, 2009 eine auf einem Parkettboden im Lotus- oder Schneidersitz sitzende Personengruppe, die miteinander verbunden offensichtlich in einer wie auch immer gearteten Aktion zusammen stehen. Die Verbindung zwischen diesen Personen ist zum Teil mit Farbmasse so dick ausgeführt als ob ein Tau über das Bild gelegt sei, das diese Männer untereinander verbindet. Der Raum, der sich unter ihnen über das Parkett anschließt, ist offen und wird über das Bild hinaus erweitert. Daran anschließend gibt es eine weitere Reihe von Gruppenbildern mit unterschiedlichen Personen, die ebenso durch die Malerei selbst und ihre Materialität im Bild untrennbar miteinander verwoben scheinen.

Ein für den kunstinteressierten Betrachter besonders irritierendes Thema ist das der Blasmusik, das sich über einen sehr langen Zeitraum im Werk von Axel Brandt wiederfinden lässt, das aber auch immer wieder große Aktualität besitzt. Die traditionellen Blaskapellen, die sich hier in den Bildern portraitiert finden, stammen aus ländlichen Kontexten und vermitteln sowohl ein besonderes Gefühl der „Heimatverbundenheit“ wie auch ein befremdliches Gefühl zwischen Ausdruck und Auflösung. Die dem Betrachter entgegengestreckten Tubaöffnungen und Trompetenröhren, scheinen sich wie große Blasen unmittelbar aus dem Bild heraus zu bewegen und den Betrachter direkt in Angriff zu nehmen. Die Malerei wird hier gleichzeitig auch zu einem Kanon von Tönen und Geräuschen, die aus dem Bild heraus wabern und das Thema insgesamt mit Klängen und Farbigkeiten ausfüllen. Man spürt Axel Brandt hier ein besonderes, fast sinnliches Verhältnis zur Malerei und zum Thema an, mit dem er zum einen einen ganz ursprünglichen und traditionsreichen Brauch Rechnung zollt wie auch den mit dieser Blasmusik insgesamt verbundenen auch negativen Aspekten, die uns an allzu lautstarke und allzu konservative Gepflogenheiten erinnern. Hier, so könnte man meinen, kommt die dicke Luft heraus, mit der Axel Brandt sein Katalogbuch betitelt hat.

 

So sind denn tatsächlich auch die jüngsten Arbeiten in diesem Buch in einer ebensolchen Heimat-Landschaft entstanden, dort wo er auch neben Düsseldorf zu Hause ist und die unterschiedlichen Jahreszeiten erlebt. Die Wildschweinserie ist Malerei pur. Die fast sieben Achtel einnehmende Fläche der Schneelandschaft ist ein einziger pastos aufgetragener Farbraum, in dem sich die Wildschweine tummeln. Das Bildfeld wird dominiert von der großen Schneefläche, in der Andeutungen von Baumbeständen erkennbar sind und die sich fast bis zum oberen Rand des Bildes erstreckt. Dort am Horizont kristallisieren sich die Bergwipfel wie Sahnespitzen heraus und lassen die Bilder insgesamt zu einem Farbenfestmahl werden. Hier herrscht die Malerei vor und die Freude am sinnlichen Umgang mit den Malmitteln und der nahezu plastische Umgang mit Komposition und Dimension tritt uns vor die Augen.

 

Stärker thematisch lässt sich Axel Brandt immer dann fassen, wenn er sich in seinen eigenen Bildungshorizont zurückzieht und seine Themen aus der Aktualität heraus verknüpft mit antiken mythologischen Inhalten. So zeigte er 2011 in seinen „Stymphalischen Sümpfen“, deren Gefährlichkeit den griechischen Heroen Gefahr brachte, keine bösen Vögel, sondern analog dazu böse Kampfgeschwader, Drohnen und Kampfflugzeuge, die den Sümpfen zu entsteigen scheinen und hier auch gleichsam bedrohlich aus dem Bild heraus gegen den Betrachter anfliegen. Wichtig ist auch die Kenntnis der antiken Sagen bei den „Grillbildern“, die uns Hera, Herakles, Prometheus und eine Amazone vorstellen, die jeweils die ihnen entstandenen Strafen selbständig auf dem Holzkohlegrill zu verarbeiten scheinen. Ironie, Sarkasmus aber auch immer wieder reine Malerei und Lust auf irritierende und überraschende Ergebnisse zeichnen den Künstler und seine Werke aus.

 

Der vielbeinige Papst, aus dessen Soutane eine Unzahl nackter Füße heraus schauen, gibt ebenso einen Kommentar zur Weltgeschichte ab, wie die in Schwesternuniform dargestellte Malerin Brigitte Mohnhaupt mit dem programmatischen Schriftzug im Hintergrund, „Malen ist Revolution“.

 

Axel Brandts Malerei ist in der Tat Revolution und gleichzeitig eine absolute Bestätigung der Malerei selbst. Das Sujet, das Motiv und das Format stehen bei ihm immer im Kontext einer Weltsicht, die vom Kleinen ins Große und vom Großen ins Kleine mutiert und die auf der Basis einer materialversessenen Gestaltung, Bilder in der dritten Dimension real werden lässt, die sowohl abstrakt wie gegenständlich, kritisch wie liebevoll, tagesaktuell wie archaisch und immer wieder sowohl malerisch wie plastisch erfahren werden können.

 

Mit eigener Ironie formuliert könnte man sagen:“ Axel Brandt haut uns seine Bilder um die Ohren“.  - Das ist aber nur im allerbesten Sinne gemeint.

 

Gez. Gabriele Uelsberg