Die Klaue des Konsums

Shop till you drop

American Idiom

Do you ever feel like a plastic bag…

Katy Perry1

von Adolf H. Kerkhoff

 

Beim Aufschlagen der Tüte

Man sollte sich nicht täuschen : die Bilder von Axel Brandt waren niemals bloße Abbilder der Realität – sie waren immer malerische Inszenierungen von biologischen Wesenheiten ebenso wie von technischen Objekten und den vom Künstler dramatisierten Beziehungen zwischen diesen .

Die Bedeutung dieser Beziehungen erschließt sich dem Betrachter vor allem aus dem malerisch herbeigeführten Moment des Zusammenkommens .Das spektakulärste Beispiel dafür bieten die Bilder der menschlichen Bäuche mit den Bombengürteln aus der unbetitelten Serie von 2005 .

Auch die Bilder der Plastiktüten – sein bisher alltäglichstes Motiv – stehen an einer Kreuzung ,nämlich genau der zwischen Humanphysiologie ,Produktionstechnologie ,Konsumideologie und Sozialkritik – allerdings "funktionieren" sie auf ganz andere Art und Weise .

Im Folgenden werde ich sie - vom Thematischen wie vom Malerischen her - unter eben diesen nur scheinbar divergenten Aspekten betrachten .

Zunächst aber sollten wir die Augen öffnen und uns klar darüber werden ,was uns der Maler auf seinen Tüten-Bildern tatsächlich vorführt : jeweils eine isolierte menschliche Hand : genauer : ihre fingerige Außenseite – und den größeren Oberteil der von ihr gehaltenen ,bedruckten Einkaufsplastiktüte ,vor einem neutral-weißlichen Hintergrund .

 

Das hilfreiche Händchen

Die menschliche Hand hat in unserer Kultur eine kaum zu überschätzende Bedeutung .Sie unterscheidet den Menschen vom Tier – der Menschenaffe bildet die nämliche Ausnahme – und sie ist es ,die die Kunst schafft ,wie August Schmarsow2 nachhaltig bewiesen hat .Außerdem desavouiert sie die Kulturlosen ,wenn diese sie ,der Scharia gehorchend ,von einem Missetäter abtrennen (lassen) .

Ist sie aber erst einmal von ihrem Körper abgelöst und somit "frei" ,so ist die Hand das einzige Körperteil ,dem man ein kulturelles Eigenleben zugesteht – Gogols Nase3 bildet die klassische Ausnahme4 von dieser Regel .

Durch zahlreiche literarische und filmische Horrorwerke nämlich kriechen und krabbeln mordende ,ebenso wie hilfreiche Händchen : man denke dabei nicht nur an die allseits bekannte Addams-Family5 sondern auch an Filmklassiker mit so sprechenden Titeln wie "The Beast with five Fingers"6 .

Auch das "Händchen" in den Bildern von Axel Brandt zählt zu den hilfreichen – schließlich hält es die Tüte .Von einem Menschen – seine "Portraits mit Tüten" nehme ich hier ausdrücklich aus –  ist jedoch weiter nichts zu sehen ,auch nichts von der Umgebung - alles ist weiß ,genauer : weißlich ! Das machen sich die meisten Betrachter nicht klar ,aber gerade dieser inszenatorische Kniff verhilft Brandts Bildern zu einer ganz eigenen ,eigenartigen Präsenz .Trotzdem wirken diese Gemälde nicht erschreckend ,ja nicht einmal unheimlich .Und doch macht sich eine subtile Ver-störung im Betrachter breit – aber genau das ist es ,was der Maler beabsichtigt .

 

Das Gespenst in der Tüte

Diese Verstörung gelingt Axel Brandt nicht nur durch das isolierte Händchen ,sondern vor allem durch die Ins-Bild-Setzung der Tüte ,genauer : des Tütenrandes .Durch die malerische Auflösung des realiter scharfen Plastikrandes erhält die Tüte eine erscheinungshafte Gestalt .Das sack- ,ja gar kofferhafte ,das ihr vor allem klischeemäßig als "Türkenkoffer" anhaftet ,löst Axel Brandt malerisch phantomi-sierend auf .Zugleich jedoch betont er die Mühseligkeit des Tragens durch die Haltung der Hand .Denn diese Haltung ist nicht die einer Faust ,sondern die einer Klaue .

Dieses physiologische Phänomen kann jeder an sich selbst beobachten : mit der Dauer des Tragens einer Tasche oder eines Koffers verkrampft die menschliche Hand immer mehr – eben zur Klaue .

Mit deren Darstellung löst Axel Brandt – scheinbar ganz nebenbei – eines der alten Probleme der Zeichnung – die der menschlichen Hand .Es ist ja paradox : zwar ist es die Hand des Künstlers die zeichnet ,zugleich aber ist sie ,als Motiv ,auch das schwierigste Thema des Naturalismus wie des Realismus .Und seit jeher bezeichnen Kritiker eine in ihren Augen mißlungene künstlerische Handdarstellung gern als : Klaue .Was liegt da näher als die Hand gleich klauenmäßig verkrampft darzustellen ,gerade so wie Axel Brandt es in diesen Bildern tut .

Bei ihm schrammt die Art der Darstellung zumeist hart entlang einer brüchigen Ironie ,deren Brechungsmoment er selbst klug zu kalkulieren weiß .Dabei ist die Malerei des Künstlers gewöhnlich flach ,mit wenigen Höhungen , häufig wirkt sie wie verwaschen .Die Oberfläche der Bilder ist stumpf ,ganz im Gegensatz zum Talmiglanz des Motives .Einzig einige zart schimmernde Linien ,die direkt aus der Tube gezogen sind ,akzentuieren das jeweilige Bild .Unterstützt werden sie von zeichnerischen Aktionen auf der Leinwand ,die der Künstler nicht übermalt ,sondern ganz bewußt auf dem Bild stehen läßt .

 

Die schicke Fratze des Fortschritts

Die Plastiktüte ist in den wenigen Jahren seit ihrer Erfindung7 Anfang der 1960er Jahre einerseits zu einem gigantischen Umweltproblem8 und zu einem kleinen Kult-objekt andererseits geworden .Dabei ist es allerdings sehr fraglich ,ob der Kult so lange besteht ,wie so manche weggeworfene Tüte halten wird : Hunderte von Jahren nämlich .

Dieser Kult9 feiert die Oberfläche der Tüte als Präsentationsort .Berühmte Künstler ,allen voran Joseph Beuys ,haben Motive für Plastiktüten entworfen – auch wenn gerade Andy Warhols Entwurf "nur" auf einer Papiertüte realisiert wurde : Ironie der Kunstgeschichte .Der berühmteste - und noch immer aktuelle ! -  deutsche Beitrag zu dieser Art künstlerischer Alltäglichkeit stammt von Günter Fruhtrunk : das Signet für Aldi Nord von 1970 .Er sah darin allerdings keinen Pop-Triumph sondern eher seinen persönlichen Sündenfall : der Kunstprofessor spendete einen Teil seines Honorars - quasi zur Buße - in die Kasse seiner Akademieklasse10 .

Axel Brandt jedoch geht es vornehmlich um die spezifisch kapitalistische Ausprägung des Kults : als Markensignal .Und es geht ihm um die Sehgewohnheiten der Betrachter seiner Bilder ,genauer : um die Trägheit unseres Blicks wie um die Prägung unseres Geistes .

Der Künstler stellt sich hier einer alten Frage zur Kunst : "Wieviel ist notwendig und wie wenig ist hinreichend um im Auge des Betrachters die Idee von einer figürlichen oder dinglichen Realität zu evozieren ?" Und Axel Brandts Antwort lautet : sehr ,sehr wenig .

Denn was wir auf seinen Bildern sehen ,sind ja keine Werbeflächen ,es sind eher negative Anmutungen : der Faltenwurf ,der gerade durch das Tragen der Tüte entsteht ,entstellt und verzerrt ja den Aufdruck ,das Markenemblem .Und trotzdem erkennen wir es – letztlich durch die Assoziation von Farben und Design .Mit diesem alten Hauptproblem der Werbewirtschaft – "Wie kommen wir rüber ?" – spielt der Künstler lustvoll .

Axel Brandt treibt sein Spiel in den verschiedenen Bildern der Serie unterschiedlich weit .Während man etwa bei "NETTO" (2014) beinahe deutlich "NETTO" lesen kann ,so ist bei "ALDI" (2014) schon eine genaue Erinnerung an die Marke "Aldi" nötig ,um die Tüte als spezifischen Werbeträger zu identifizieren – dabei spielen die "Branding-Colours" ,die ja zugleich die Hauptfarben des Bildes sind ,eine bestimmende Rolle .Daß aber so wenig Motiv zum Erkennen desselben ausreicht ,beweist ,wie tief die Marke im Unterbewußtsein der Rezipienten verankert ist .Und diese Identifizierung geht tatsächlich so weit ,daß selbst noch die Regionalgesellschaft erkannt wird : Aldi Süd .

Was die Gemälde betrifft ,so haben die Falten der Kunst-Tüten eine dreifache Funktion .Zum einen beleben sie die Bildkomposition nachhaltig .Zum anderen aber dienen sie dem Künstler als Blickfallen fürs Publikum : was auf den ersten Blick eigentlich wie ein abstraktes Bild erscheint ,macht erst die Markenfixierung bzw. -erinnerung im Kopf des Betrachters zur realen Darstellung und zugleich auch zur Werbebotschaft ,die letztlich ihr Ziel erreicht .Zuletzt jedoch ermöglicht dieser Erkenntnisvorgang in der Bildbetrachtung dem Publikum auch - so es denn bereit dazu ist - einen selbstkritischen Blick aufs eigene "Markenbranding" .

 

Das Karussell des Konsums

Die Plastiktüte ist DAS Symbol für die Konsumgesellschaft geworden ,denn sie signalisiert von innen her spontanen Konsum – Das geht jetzt mit ! – und nach außen hin Markenaffinität – Das find ich gut ! – und zwar zugleich .Aber die Tüte ist noch mehr : sie markiert ebenso den Anfang (= Kauf) wie das Ende des Konsums (= Müll) ,da sie sich nicht nur ideal als flexibles Transportmittel sondern auch vorzüglich als dichter und stabiler Abfallbeutel eignet .So schließt sich denn der konsumatorische Kreis der Wegwerfgesellschaft in der Plastiktüte und sie generiert sich auf diese Weise vom Markenzeichenträger zum intentionalen Symbol der Ex-und-Hopp-Mentalität .

Erscheint es in diesem Zusammenhang nicht wie ein Menetekel ,daß einer der berühmtesten Menschen ,genauer : der Anonymen der Medienwelt11 "Der Mann mit den zwei Plastiktüten" ist ? Er war es ,der sich am 5.6.1989 ,nur bewaffnet mit seinen zwei Einkaufstüten ,den Panzern auf Pekings "Platz des Himmlischen Friedens" in den Weg stellte .

Die subtile Sozialkritik ,die in den Bildern von Axel Brandt steckt ,zeigt sich wieder-kehrend nicht nur in den verzerrten Markensigneten ,sondern auch und gerade in der Handklaue .Denn sie ist in seinen Tüten-Bildern nicht zur Faust geschlossen ,sondern zumeist mehr oder weniger geöffnet ,weil gedehnt ,ja erschlafft .Diese Veränderung der Handhaltung zeigt sich naturgemäß erst bei längerem Tragen ,zu dem die Tütenbesitzer in den Bildern offensichtlich gezwungen sind .Das spricht für weite Tragewege ihrerseits ,mithin für das Fehlen eines privaten PKWs und damit für relative Armut .Tausende und Abertausende Alltagsmenschen ziehen an jedem Werktag so durch die Straßen – und ihnen Allen widmet sich der Künstler in diesen Gemälden .Denn tatsächlich erschafft Axel Brandt mit dieser Bild-Serie eine Reihe von anonymen Prekariatsportraits – auf seine eigene ,unnachahmlich hintergründige Art und Weise .

 

Anmerkungen

  1. Der Titel des Songs lautet :"Firework" aus dem Album "Teenage Dream" (2010)

  2. Schmarsow ,August : Zur Frage nach dem Malerischen, sein Grundbegriff und

       seine Entwicklung ; Leipzig 1896

  3. Gemeint ist die Erzählung "Die Nase" (1836) von Nikolai Wassiljewitsch Gogol .

  4. Hier nur am Rande zu erwähnen ist der "Giant Foot" auch "Python Foot" genannt

      – und nicht zu verwechseln mit "Bigfoot – erfunden von Terry Gillam für "Monty

       Python´s Flying Circus" Denn zum einen tritt er nur als Zeichentrickfigur auf ,und

       zum anderen ist er ein kunstgeschichtliches Zitat : er ist ein Fuß des Amor aus

       Agnolo Bronzinos "Venus ,Amor und die Eifersucht" auch benannt als "Allegorie

       des Triumphes der Venus" (um 1545) .

  5. Die Addams Family entstammt einer Zeichnungsserie von Charles 'Chas'

      Addams für die Zeitschrift "The New Yorker" – danach entstanden vier TV-Serien

       ,drei Spielfilme sowie ein Flipper ,natürlich auch mit einem "hilfreichen

       Händchen" ,das bei den Addams übrigens "Eiskaltes Händchen" genannt wird .

  6. Dieser Film (USA 1946) - mit Peter Lorre - markiert den Anfang der "Händchen-

      Filme" .Als wichtig in diesem Zusammenhang sind außerdem zu nennen :

       "Dr. Terror's House of Horrors" (GB 1965) - darin die letzte Episode mit

      Christopher Lee - und "The Hand" (USA 1981) - mit Michael Caine .

  7. Der Erfinder der Plastiktüte ist interessanterweise bis Heute unbekannt .

  8. Die Plastiktüte gehört zu den umweltinvasiven Spezies .Doch bis zur Markt-

       eroberung brauchte es eine bestimmte Zeit .Und erst nachdem wirklich jeder

      Konsument nachhaltig infiziert war ,konnte sich das Publikum in drei Gruppen

       teilen : die Kultisten ,die Renegaten und die Ignoranten .Die Kultisten

      begründeten vor allem den Kunstanspruch der Plastiktüten und glaubten an die

      natürliche Auslese durch Photochemie .Die Renegaten riefen umweltkämpferisch

       "Jute statt Plastik" aus und begannen ,die Tüten ideologisch zu bekämpfen .Den

      Gleichgültigen war das alles egal – Hauptsache ,die Tüte war umsonst .Wie so

      oft haben sich die Renegaten – hier : als Umweltretter – durchgesetzt : die

      Plastiktüten werden entweder verboten (Australien) oder aber sehr teuer gemacht

      (EU) .Das wiederum sollte die Kultisten freuen ,denn Exklusivität ist ihre Passion .

      Und die Masse der Ignoranten ? Sie alle werden zähneknirschend auch den

      (noch) höheren Preis für die Plastiktüte zahlen – wenn sie ihre Einkaufstasche

      wieder mal vergessen haben .Ein "Auslaufmodell" ist die Plastiktüte damit aber

      noch lange nicht .

  9. Einen Überblick über dieses Phänomen geben :

      Bartl ,Karin (et al.) : Plastiktüten – Kunst zum Tragen ; Hannover 1986

      Gerber ,Susanne (ed.) : KUNST.STOFF.TÜTEN ; Ostfildern-Ruit ,o.J. (2002)

      [Katalog zur Ausstellung: in der Galerie im Alten Schloß Gaildorf 4.7.-10.8.2002 –

      ein Projekt der thermo-pack Kunststoff-Folien GmbH ,Gaildorf]

      Corell ,Ida-Marie : Alltagsobjekt Plastiktüte ; Basel + Wien + New York 2011

      Koch ,Anne-Katrin : Werbebotschafter auf der Straße - Die Tüte und die Kunst ;

      bei : www.kunsttexte.de [4/2012]

10. Siehe dazu : B.Z. vom 29.7.2010

11. Siehe dazu z.B. bei www.youtube.com das Video "Top 10 Most Mysterious

      People Ever"

 

© Adolf H. Kerkhoff 2015